Im Rahmen eines einwöchigen Erasmus+Programms hatte Herr Jüngermann vor den Osterferien die Gelegenheit, sich ein Bild der schulischen Bildungssysteme in Finnland und Estland zu machen. Hier sein Bericht:
Sowohl Estland als auch Finnland hatten bei den Pisa Studien vergangener Jahre wiederholt als Beste in Europa abgeschnitten. Da auch der Grad der Digitalisierung in beiden Ländern bereits weiter fortgeschritten ist als in Deutschland, war es interessant, wie sich dies in den Schulen zeigt.
Die erste überraschende Erkenntnis: Die digitale Ausstattung in beiden Ländern ist nicht besser als am Megina-Gymnasium, denn die meisten Klassenräume sind entweder mit interaktiven Deckenbeamern oder digitalen Tafeln ausgestattet, jeweils ergänzt durch einen Laptop und eine Dokumentenkamera am Lehrerpult. Allerdings gibt es auch Klassenräume, die nur über eine weiße Tafel zum Beschreiben mit Stiften verfügen.
Klassenraum eines Gymnasiums in Finnland
Die Schüler in Finnland hatten von der Schule eigene Laptops bekommen, die sie auch mit nach Hause nehmen konnten, in Estland hingegen gab es nur Laptopwagen zum zeitweisen Ausleihen der Geräte.
Im Unterricht wurden die Laptops allerdings nicht wie erwartet immer eingesetzt, nur in machen Stunden konnte ihr Einsatz beobachtet werden.
Klassenraum im Neubau einer Schule in Estland
Die Schulen nutzen meist Microsofft Office 365 oder google classroom und verschiedene pädagogische Plattformen, mit denen Abwesenheit, Stundenplan und Noten festgehalten sowie das Verteilen von Unterrichtsmaterialien ermöglicht werden. In Estland gibt es das digitale Klassenbuch bereits seit 2002, das zeigt, dass dort der Prozess der Digitalisierung bereits deutlich früher begonnen wurde. Mit der Einführung des schulmanagers online sowie der online-Notenerfassung ist bei uns inzwischen ein vergleichbares Niveau vorhanden.
Bei der Nutzung von Mobiltelefonen konnten von völliger Freigabe bis zu völligem Verbot auch keine einheitliche Regelung beobachtet werden.
Einen Unterschied in der Methodik konnte bei den besuchten Stunden ebenfalls nicht beobachtet werden: In den allermeisten Fällen wurde klassischer lehrerzentrierter Unterricht ausgeführt.
Klassenraum einer Landschule in Estland
In beiden Ländern besuchen die Schülerinnen und Schüler wohnortnah von der ersten bis zur neunten Klasse die gleiche Schule, danach folgt entweder eine Berufsschule oder eine dreijährige gymnasiale Oberstufe, die beide den Zugang zu Universität/Hochschule ermöglichen. Durch das gemeinsame Lernen ist es auch möglich einen Plan zum Erwerb digitaler Kompetenzen aufzustellen, der bereits in der Primarstufe beispielsweise mit dem Lernen von Tastaturschreiben beginnt und bis zur Klasse neun ausgerichtet ist. Nur drei Prozent der Schulen in Finnland haben mehr als 500 Schüler, aber selbst die kleineren Schulen verfügen über einen weit größeren Umfang an unterstützenden Kräften als deutsche Schulen: Jede Schule besitzt eine Schulkrankenschwester, Schulsozialarbeiter sowie oftmals eine Schulpsychologin.
Bildung in Finnland ist kostenlos, dazu zählt neben dem freien Bustransport und Lernmittelfreiheit auch das in Schulküchen angebotene Mittagessen.
Schulküche mit Speisesaal
Ein weiterer Unterschied zu Deutschland ist, dass die Schulen eine weitaus größere Autonomie besitzen: Der Schulleiter kann viele organisatorische Entscheidungen treffen: vom Zeitpunkt de Unterrichtsbeginns, über die Länge der Unterrichtsstunden bis hin zur Einstellung von Lehrkräften hat er weitgehende Freiheit, die von einem Gremium aus Eltern sowie der Kommune begleitet wird. Eine Schulaufsicht gibt es hingegen nicht mehr, an ihre Stelle sind Statistiken über den erreichten Bildungserfolg getreten. Eines der wichtigsten Prinzipien ist Vertrauen.
In der Ausstattung der Schulen fallen mehrere Dinge auf: Wegen der lang andauernden Winter gibt es in vielen Schulen in den Eingangsbereichen Garderoben, in denen Jacken und Schuhe (!) ausgezogen oder gewechselt werden.
Garderobe in einem Neubau oder weniger schön in einem älteren Gebäude einer russischen Schule
Daneben gibt es Aufenthaltsbereiche für Pausen, die mit bequemen Sitzlandschaften oder Lesesesseln ausgestattet sind. Alle diese Punkt sollen dazu beitragen, dass die Schulen Orte sind, an denen man sich gerne aufhält und sich wohlfühlt.
Lese- und Arbeitsecken für Schülerinnen und Schüler
Lesesessel
Dazu kommt noch, dass der Lehrerberuf in Finnland hohes Ansehen besitzt und nur 10 Prozent der Bewerber nach einem längeren Auswahlverfahren einen entsprechenden Studienplatz erhalten.
Einen sehr hohen Stellenwert besitzen Bibliotheken in Finnland: Es gibt moderne Neubauten, die weit mehr anbieten als die traditionelle Ausleihe von Büchern. Sie sind zu einem einladenden Treffpunkt für jung und alt geworden, in dem man lesen, arbeiten aber sich auch treffen kann zum Spielen oder Ausprobieren von moderner Technik wie 3-D-Druckern oder dem Aufnehmen eigener Musik in einem Musikstudio.
Die oodi-Bibliothek im Zentrum von Helsinki ist eine der spektakulärsten im Land.
Das hat alles natürlich seinen Preis: Finnland gab im Jahr 2020 pro Jahr 5,4% (vormals noch deutlich mehr ..) seines Bruttosozialproduktes für Bildung aus, in Estland waren es 4,8%, zum Vergleich: Deutschland 4,7% (Zahlen von 2020).
Das Schulsystem in Estland hat viele der besten Eigenschaften aus Finnland und Deutschland zu einem Eigenen ebenfalls bei Pisa sehr erfolgreichen Modell zusammengefügt. Als Herausforderungen der Zukunft steht hier der Umgang mit dem bereits jetzt spürbaren Lehrermangel im Vordergrund.
School 21 (Tallin): Vorzeigeschule mit überdachter Aula
Als Fazit bleibt, dass es keinen pädagogischen „Zaubertrank“ gibt, den die Schulen in Finnland und Estland ihren Schülerinnen und Schülern verabreichen, sondern dass ein gutes Schulklima mit vielen Unterstützungsangeboten in einem ansprechenden baulichen Rahmen mit motivierten Lehrkräften die Schülerinnnen und Schüler zu guten Leistungen bringt. Ich bin sicher, dass der Kurs einige Anregungen gebracht hat, über deren Umsetzung am Megina-Gymnasium diskutiert werden wird. Dazu war auch der Austausch mit den Lehrkräften aus anderen europäischen Ländern sehr wertvoll und ertragreich.
Besuchte Schulen:
Finnland/ Helsinki:
* Omnia vocational school in Kirkkonummi (Berufsbildende Schule)
* Kyrkslätts Gymnasium in Kirkkonummi
Estland/ Tallin:
* School 21 (Tallin)
* Pae Gymnasium (russische Schule)
* Kuusalu school (Schule auf dem Land)
* Tallinna Ülikool (Universität Tallin )
Martin Jüngermann
Zum Weiterlesen:
https://www.lehrer-news.de/blog-posts/das-finnische-bildungssystem---ein-modell-fuer-den-erfolg
https://www.schulflix.com/artikel/finnisches-schulsystem/
https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/estland-reise-ins-digital-wunderland/
https://www.lehrer-news.de/blog-posts/das-finnische-bildungssystem---ein-modell-fuer-den-erfolg
https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_BildAusg.html
HINWEIS zum Haftungsausschluss:
Sämtliche Veröffentlichungen im Zusammenhang mit dem Erasmus+Projekt des Megina-Gymnasiums sind von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen jedoch ausschließlich denen des Autors bzw. der Autoren und spiegeln nicht zwingend die der Europäischen Union oder der Europäischen Exekutivagentur für Bildung und Kultur (EACEA) wider. Weder die Europäische Union noch die EACEA können dafür verantwortlich gemacht werden.